Definition Online-Beratung

Die DGOB unterscheidet zwischen Formaten (Beratung, Supervision, Coaching, Pastoralpsychologie) und Methoden (systemische Methoden, Psychodrama, Gestalt, klientenzentrierte Gesprächsführung…), mit denen innerhalb der genannten Formate gearbeitet wird. Beratungsformate können aktuell f2f und online in Anspruch genommen werden, es eröffnen sich medial unterschiedene Zugänge zu Beratungsleistungen.
Auf der Grundlage dieser Begriffszuordnung definiert die DGOB Online-Beratung als Setting, das sich in unterschiedliche Präsentationsformen differenziert, z.B. schriftgestützte Präsentationen (webbasierte Mailberatung, Chat- und Forenberatung) oder Präsentationen, die audio-visuelle Kanäle nutzen (z.B. Videoberatung etc.). Gemeinsamer Nenner dieser Präsentationen ist deren Bindung an graphische Zeichen, die digital prozessiert werden (Programmcode).

Online-Beratung präsentiert sich Ratsuchenden als alternativer und erweiterter Zugang zu Beratungsleistungen, verbunden mit einem Medienwechsel: von der unmittelbaren Interaktion zu einer tele-medial vermittelten Kommunikation zwischen räumlich Abwesenden. Überbrückt wird die räumliche Distanz durch den Einsatz digitaler Kommunikationsmedien.

Zwei Beobachtungen belegen die vorstehende Kennzeichnung:
a) mit jeder der anerkannten Schulmethoden kann online beraten werden und
b) die vorliegenden Beschreibungen von Online-Beratung basieren im Wesentlichen auf vier Distanzvariablen, wie sie für dreidimensionale (physikalische) respektive zweidimensionale (virtuelle) Räume charakteristisch sind. Die vier Variablen sind binär codiert (offline/online).

Eine systematische Zusammenstellung der Befunde ergibt folgendes Modell:

Setting (Manifestation)

Offline

Online

Räumliche Distanz Distanz zum Angebot in km Distanz zum Angebot auf dem Bildschirm
Physikalische Distanz (physische) Anwesenheit (physische) Abwesenheit
Zeitliche Distanz Synchronizität A-Synchronizität
Kommunikative Distanz Unmittelbarkeit Mittelbarkeit

Eine ausführliche Begründung dieser Definition findet sich hier: Definition Online-Beratung (Langtext)

Aus der hier vorliegenden Definition folgt: Online-Beratung ist keine Methode. Um qualifiziert online beraten zu können, bedarf es einer Transformation der etablierten Techniken der Schulmethoden in den virtuellen Raum, der sich prototypisch als Schriftraum präsentiert. Begründet wird diese Charakterisierung wie folgt:

  1. erst mit der Technisierung der Schrift (Print, Hypertext etc.) wird die umfassende Kommunikation unter räumlich Abwesenden möglich,
  2. alles, was mit Hilfe von Digitaltechnik simuliert werden kann, basiert auf Programm-Code und damit auf Schrift. Die simulierte „Natürlichkeit“ audiovisueller Effekte darf über die Schriftgebundenheit nicht hinwegtäuschen. Das Paradox „digital hergestellter Natürlichkeit“ bildet den Ausgangspunkt der medientheoretischen Bewertung von Formaten, die audio-visuelle Kanäle für die Beratungskommunikation nutzen.

Daraus folgt: Gilt der Präsenzberatung die gesprochene Sprache (Stimme) als prototypisch, gilt die geschriebene Sprache (Text) als prototypisch für die Online-Beratung.

Die Festlegung auf Schrift als Ausgangspunkt einer in sich schlüssigen Modellbildung schließt Hybridmedien (z.B. Videoberatung) nicht aus, sondern erlaubt es, deren Funktion und Wirkung im Rahmen des hier vorgestellten (prototypischen) Modells systematisch zu beobachten, zu bewerten und widerspruchsfrei einzubeziehen.

Die von der DGOB präferierte Bindestrich-Schreibweise verdeutlicht grafisch, dass der qualifizierende Zusatz „offline“ bzw. „online“ der Beratung (Beratung als methodischem Vorgehen) ‚vor‘-gestellt ist.

Online-Beratung als alternatives Setting zu definieren verkennt nicht die Auswirkungen, die sich durch den Wechsel von mündlicher zu schriftlicher Kommunikation einstellen und Wirkung zeigen. Geschriebene Sprache besitzt andere Eigenschaften als gesprochene: Sie hält still, sie konserviert Sinn, sie distanziert Autor*in und Text, sie führt Text und Leser*in in einer von der Intention der Autor*in evtl. abweichenden Form zusammen, sie gestattet a-synchrone Kommunikation und erlaubt die mittelbare Interaktion – um nur einige Effekte zu nennen. Keine der hier aufgezählten Wirkungen begründet jedoch die Einordnung der Online-Beratung als eigenständige Methode. Alle für die Schriftkommunikation benötigten Kompetenzen müssen den Sprachwissenschaften (insbesondere Textlinguistik) entlehnt werden. Einer Definition von Online-Beratung als Methode wäre zudem ein die Methodik begründendes Menschenbild vorausgesetzt, wenigstens aber die Konstruktion einer eigenständigen „Online“-Psyche.

Kennzeichnend für „Online“ ist die unaufhebbare Bindung der Medienformate an graphische Zeichen, die digital prozessiert werden. Programmcode steht nicht in direkter Beziehung zur normalen Sprache, denn Input und Output unterliegen den Bedingungen der maschinellen Verarbeitung, die der direkten Beobachtung (Wahrnehmung) entzogen bleibt. Simuliert wird eine „sinnliche“ Welt, in der für die Nutzenden die Grenze zwischen Symbolischem und Außersymbolischen verschwimmt respektive verschwindet.

Zu tele-medialer Kommunikation gehört alles, was digital prozessiert (simuliert) werden kann, neben den (prototypisch) schriftsprachlichen Formaten auch audio-visuelle Formate.

Mit der hier getroffenen Feststellung gelingt zugleich die Präzisierung der Semantik „Virtualisierung/Virtualität“. Bringt man das Attribut „virtuell“ in Opposition zum Attribut „physikalisch/physisch“ (anstatt zu „real“, was zur  Tautologie „reale Realität“ führt), wird ersichtlich, dass weder Kommunikation noch Beratung (als sprachgebundene Methode) physikalisch/physisch begründet sind und folglich auch nicht virtualisiert werden können. Virtualisiert werden können dreidimensionale/physische Verhältnisse zum Zwecke ihrer zweidimensionalen Präsentation auf Bildschirmen: physisch unzugänglich, aber mit realen Auswirkungen. Sprache erlaubt einen symbolisch vermittelten Zugang zur Welt und dem, was jeweils Wirklichkeit genannt wird. (Alphabet-)Sprache ist künstlich, unnatürlich (meta-physisch) und so gesehen „virtuell“, weil sie Wirklichkeit nicht re-präsentiert, sondern konstruiert. Weshalb es sich bei der Metapher „virtuelle Beratung“ um eine Tautologie handelt, die nicht dazu geeignet ist, tele-mediale Beratung adäquat zu repräsentieren, wohingegen die Metapher ‚Virtuelle Beratungsstelle‘ zutreffend ist.

Der vollständige Text samt den Literaturangaben steht hier zum Download bereit: Definition Online-Beratung.

Hinweis: Mit den hier veröffentlichten Texten soll eine Diskussion zu wichtigen Themen initiiert werden. Der Vorstand freut sich über positive wie kritische Rückmeldungen. Ihr Feedback senden Sie bitte an: ed.gnutarebenilno-gd@dnatsrov.