Überall wird zertifiziert, zum Wohle der Kundinnen und Kunden, die im Dschungel der Angebote ansonsten heillos verloren wären. So könnte man überspitzt (oder ketzerisch) die Aussagen der Beratungsverbände auf den Punkt bringen, die mit ihren Zertifikaten und ihren zertifizierten Mitgliedern werben. Kein Bereich scheint zu exotisch, um nicht wenigstens einen Verband hervorzubringen, der die bereichsspezifische Qualität „verwaltet“. Aktuelles Beispiel: das pferdegestützte Coaching (Quelle: Pferdegestütztes Coaching). „Es war dringend notwendig, eine Prüfung und Zertifizierung für diese Methodik anzubieten, da nur so gesichert ist, dass fachlich kompetent und seriös gearbeitet wird“, so Kerstin Kruse von horsesense® international.

Was leistet Zertifizierung, was wird zertifiziert?

Besagter Verband schreibt: „Die Zertifizierung basiert auf dem „Premium Quality horse assisted coach“ -Qualitätshandbuch, welches angelehnt ist an PAS 1029 Einzel-Coaching“, TÜV Rheinland, an DIN ISO 29990 „Lerndienstleistungen für die Aus- und Weiterbildung — Grundlegende Anforderungen an Dienstleister“ sowie an den ethischen Richtlinien des ICF (International Coaching Federation).“

Es wird deutlich, dass es vor allem formale Merkmale sind, die (regelmäßig) überprüft werden können. Etwa der formale Nachweis, dass Kenntnisse im (tiergerechten) Umgang mit Pferden vorhanden sind, dass eine bestimmte Ausstattung (räumlich, zeitlich) vorhanden ist, wie der Zugang zur Dienstleistung geregelt ist usw. Es kann festgelegt werden, welche Nachweise anerkannt und welche nicht anerkannt werden – was zur Folge hat, dass jede Zertifizierung auch eine „sekundäre Zertifizierung“ all jener Dienstleister darstellt, die die jeweiligen Vorleistungen erbringen (z.B. Fort- und Weiterbildungen etc.) .

Für die Kunden bleibt all dies intransparent. Aus ihrer Sicht verspricht das Zertifikat etwas anderes: nämlich eine gute Beratungsleistung. Eine Erwartung (oder Hoffnung), die aus Sicht der Kunden naheliegen und daher nachvollziehbar ist. Doch genau dies kann Zertifizierung nicht leisten! „Gute“ Beratung bleibt ein individuelles Erleben, das nicht oder nur sehr bedingt reproduzierbar ist. Selbst wenn die Beraterin aus ihrer Sicht von einem gelungenen Beratungsprozess ausgeht, bleibt offen, ob die Kundin Gleiches empfindet.

Um Missverständnissen vorzubeugen: die Einlassungen sind nicht als Abwertung der Zertifizierung zu verstehen, sondern als Relativierung. Notwendig, weil im Schwung der Zertifizierungswelle vergessen wird zu benennen, was tatsächlich zertifiziert werden kann (im Sinne von „beglaubigt, bescheinigt, nachgewiesen“), fairer Weise aber auch darauf hinzuweisen, was nicht zertifiziert werden kann. Eine klare Kommunikation der Kundschaft gegenüber ist ein Gebot der Ehrlichkeit. Wer jetzt einwendet, Zertifizierung wende sich vor allem an die Fachkräfte im Sinne einer Selbstverpflichtung (zu mehr Qualität), der möge sich kritisch prüfen, ob sie oder er auf den (prominenten) Hinweis auf ein vorhandenes Zertifikat verzichten möchte.