Die fünfte Jahrestagung der DGOB stand unter dem Motto:

„Immer wieder neu: Beziehung. Im Netz – Face-2-Face – mit KI“

Der Mensch wird am Du zum Ich
(Martin Buber, Werke I, Schriften zur Philosophie, S. 97).

Von Geburt an leben wir in Beziehung(en). Es geht gar nicht anders. Von da aus könnte man meinen, alles Wichtige über Beziehungen sei längst bekannt und gesagt. Doch die Gestaltung von Beziehung und Kontaktpflege verändert sich fortlaufend. Nicht nur gesellschaftlich haben sich die Rollen verschoben, auch die Alltagsmediatisierung verändert Beziehungsanbahnung und Beziehungsgestaltung fortlaufend.

Das Netz bietet hierfür vielfältige Möglichkeiten. Datingportale führen Menschen mit gleichen Interessen oder gleichen Sehnsüchten zusammen. Sogar Beziehungen zu Avataren oder Maschinen sind bereits möglich. (Bubers “Es?”) Neben ernst gemeinten Aktivitäten sind Nutzende auch mit Fakes, Stalkern und Betrug konfrontiert und die Erforschung der psychischen und gesundheitlichen Folgen (Bindung!) steht noch in den Anfängen.

(Online-)Beratung muss sich deshalb kontinuierlich mit neuen Beziehungsformen beschäftigen. Eins aber bleibt wohl: “Alles wirkliche Leben ist Begegnung” (Martin Buber, Werke I, Schriften zur Philosophie, S. 85)


Ds Eröffnungsreferat zum Thema Martin Bubers dialogisches Prinzip hielt Dr. Silvia Richter (Goethe Universität Frankfurt a.M.)
Abstract: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“, dieses berühmte Zitat aus „Ich und Du“ (1923) trifft den Kern des Denkens Martin Bubers (1878-1965), das von seinem Ansatz des dialogischen Prinzips tief geprägt ist. Ziel des Vortrages ist es, in Bubers dialogisches Prinzip einzuführen und dessen Bedeutungsreichtum in den unterschiedlichen Facetten seines Schaffens deutlich werden zu lassen, d.h. in Philosophie, Pädagogik, Chassidismus und Politik.
Der Vortrag gliedert sich in vier Teile: Zu Beginn soll zunächst kurz der biographische und werkgeschichtliche Kontext umrissen werden; davon ausgehend soll in Bubers Hauptwerk „Ich und Du“ eingeführt und anhand dessen die zentralen Thesen des dialogischen Prinzips vorgestellt werden. Dies soll dann anhand von Beispielen aus seinen weiteren Werken – u.a. „Zwiesprache“ (1929), „Chassidische Erzählungen“ (1949) sowie seine pädagogischen und politischen Schriften zur Lage in Israel/Palästina – ausgeführt und vertieft werden.
Abschließend soll die Relevanz des Denkens Bubers und seines dialogischen Prinzips für uns heute untersucht werden: Was kann uns Bubers Philosophie heute noch sagen und worin besteht ihr Wert für unsere Zeit, insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen von KI sowie der zunehmenden Digitalisierung.


Das Schlussreferat zum Thema Beziehungen im Zeitalter digitaler Medien / Dating hielt Prof. Dr. Wera Aretz (Fresenius Hochschule Idstein)
Abstract: Das Aufkommen von Dating-Apps hat das Dating-Verhalten vieler Menschen verändert. Jede*r dritte Internetnutzer*in über 16 Jahre nutzt das Internet zur Partner*innensuche (Bitkom, 2022), und die meisten Paare lernen sich mittlerweile über Dating-Apps oder den gemeinsamen Freundeskreis kennen (Statista, 2023). Online-Dating bietet eine bequeme und unkomplizierte Möglichkeit, jederzeit und überall mit einer nahezu unbegrenzten Anzahl potenzieller Partner*innen in Kontakt zu kommen. Doch viele Menschen sehen sich zunehmend mit Frustrationen und Herausforderungen beim Online-Dating konfrontiert, die sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirken. Einige Nutzer*innen berichten davon, an einem „Dating-Burnout“ zu leiden, was mit dem Gefühl der emotionalen Erschöpfung, einer zunehmenden Depersonalisation und dem Gefühl reduzierter Leistung beim Dating einhergeht. Der Vortrag beleuchtet Vorteile und Nachteile der romantischen Beziehungssuche im digitalen Zeitalter, deren Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft und zeigt therapeutische Unterstützungsmöglichkeiten auf.


Die Teilnehmenden konnten sich in 5 Workshops mit dem Thema „Beziehung“ unter unterschiedlichen Aspekten auseinandersetzen:

WS 1: Das dialogische Prinzip in der Beratungsarbeit
Dr. Silvia Richter (Frankfurt a.M.)
Abstract: Anknüpfend an den Eröffnungsvortrag werden im Workshop einzelne Aussagen der Dialogphilosophie Martin Bubers (1878-1965) näher beleuchtet und auf ihre Relevanz für das Arbeitsfeld der Online-Beratung hin befragt.
Anhand von Textauszügen aus „Ich und Du“ (1923) und „Zwiesprache“ (1929) werden die zentralen philosophischen Grundlagen des dialogischen Prinzips vorgestellt und gemeinsam besprochen. Wesentliche Leitfragen werden dabei sein: Was versteht Buber jeweils unter „Begegnung“ und „Beziehung“ und wie differenziert er beide Begriffe? Welche Rolle spielt Sprache im dialogischen Prinzip und gibt es auch eine Bedeutung des Schweigens bzw. einer Kommunikation „ohne Worte“? Welche Grenzen sieht Buber für den Dialog an sich, d.h. gibt es Situationen in denen das dialogische Prinzip in der Praxis an seine Grenzen stößt?
Im Rahmen des Workshops werden Textauszüge aus den o.g. Schriften den TeilnehmerInnen zur Verfügung gestellt. Es wird ausreichend Raum für Fragen sowie zum gemeinsamen Austausch gegeben. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.


WS 2: Politics of Gender in der virtuellen Beziehungsgestaltung
Prof. Dr. Anna Kasten (Jena)
Abstract: Geschlecht ist eine politische Dimension der Beratung. Diese Dimension zeigt sich im Alltag der Ratsuchenden, wenn sie als Partner*in, Tochter, Sohn, Vater oder Kollegin adressiert werden. Die Beziehungsrollen, die die Ratsuchenden in ihrem Alltag übernehmen, sind vergeschlechtlicht und mit Zuschreibungen, Erwartungen und Hoffnungen verbunden. Diese Dimension findet sich ebenfalls in der Beziehung zwischen Online-Beratenden und Ratsuchenden wieder. Sie drückt sich aus in der Art und Weise, wie die Online-Beratenden gelesen werden, als Berater oder Berater*in. Der Begriff Politics of Gender umschreibt Vorstellungen von Geschlecht auf der symbolischen, gesellschaftlichen, politischen und strukturellen Ebene. Die virtuelle Beziehungsgestaltung ereignet sich nicht unabhängig von diesen Ebenen. Im Workshop wird der Raum für folgende Fragen eröffnet: Wie gehen die Online-Berater*innen mit den eigenen und ihnen zugeschriebenen vergeschlechtlichten Anforderungen, Zuständigkeiten und Erwartungen um? Welche professionellen Antworten haben die Online-Berater*innen darauf?


WS 3: „Kann KI Beziehung?“
Prof. Dr. Harald Geissler (Hamburg ) Hartmut Davin (Berlin)
Abstract: Im ersten Teil des WS „Kann KI Beziehung?“ stellt Prof. H. Geißler sieben idealtypisch rekonstruierte Settings für die Nutzung von KI in Coaching und Beratung dar. Ein besonderer Fokus wird dabei auf Möglichkeiten des triadischen KI-Coachings liegen. Das Potential der triadischen Struktur dient in einem zweiten Teil des WS als Ausgangspunkt für eine von H. Davin moderierte Reflexion, die u. a. die Last der Verantwortung dyadischer Settings bewusst macht. Im Fazit wird damit erhellt, dass KI Funktionen von Co-Coaching einbringt und immer ihre Grenze an gelebter Beziehung findet.

Die Materialien zum Workshop finden Sie hier: Input-Geissler Doku WS 3-Davin


WS 4: (Cyber)Stalking – eine vergiftete Beziehung
Beate Köhler (Berlin)
Abstract: In unserer täglichen Praxis beobachten wir immer wieder, dass Kontrolle, vor allem durch Einsatz digitaler Kommunikationsmedien in Beziehungen, oftmals als ganz normal empfunden wird. Aber ist es wichtig, jederzeit den Aufenthaltsort mit meinem Partnerin* zu teilen, die Wege und die Handlungen einer anderen Person immer genau zu kennen? Oder grenzt das schon an Stalking? Im Workshop wollen wir uns gemeinsam anschauen, was (Cyber) Stalking ist und wo es beginnt. Wir wollen Fragen: Was genau ist Cyberstalking? Wer sind die Betroffenen? Was macht es aus und was macht es mit den Betroffenen? Darüber hinaus soll es Raum geben für die Fragen der Teilnehmenden.

Die Materialien zum Workshop finden Sie hier Checkliste Digitale Trennung Präsentation Köhler


WS 5: Befreite Liebe? Heutige Beziehungsmodelle in der Beratung: romantisch-erotisch-langjährig
Andrea Lafos (Köln)
Abstract: So wie der Mensch selbst, sind auch Beziehungsmodelle immer im Wandel. Immer neue Beziehungsmodelle kamen hinzu. Was bleibt, sind fluide Bedürfnisse nach Nähe und zugleich nach Autonomie.  Mit der Öffnung hin zu anderen Beziehungsmodellen steigt sowohl der gesellschaftliche als auch der persönliche Erwartungsdruck. In diesem Workshop werden bestehende Beziehungsmodelle (romantisch, erotisch, langjährig) definiert und wir fragen: Was können Menschen, die in monogamen Beziehungen leben, von Menschen in polyamoren, polysexuellen, asexuellen oder offenen Beziehungen lernen – und umgekehrt. Und wie wirkt sich dies auf die (Online-)Paarberatung aus?

Dir Materialien zum Workshop finden Sie hier: Workshop Andrea Lafos