Genau genommen heißt der Titel des Videovortrags von Prof. Otto Kruse „Wissenschaftliches Schreiben und kritisches Denken: ein didaktisches Zwillingspaar“. Gesehen und gehört werden kann der Vortrag unter lecture2go.uni-hamburg.

Gleich zu Beginn mach Kruse deutlich, dass man nicht Schreiben kann ohne zu Denken – eine gewichtige Aussage gerade in Bezug auf die Beantwortung der Frage, worin der der Vorteil einer auf Schrift gestützten Beratung liegen soll. Definierend, was kritisches Denken ist, fährt er fort: „Auf den kürzesten Nenner gebracht heißt kritisches Denken, Verantwortung für die Qualität des eigenen Denkens zu übernehmen“. Dazu bedarf es eines Mediums, das „still“ hält, denn nur in der wiederkehrenden Überprüfung meines Denkens kann ich dessen Qualität überprüfen, indem ich mir durch Lesen die Gedanken bewusst mache. Mündliche Gespräche sind flüchtig, diese Erkenntnis ist nicht neu. Schriftlich fixierte Gedanken (auch im Duktus eines Dialogs) können gegen den Fluss der Zeit aufbewahrt werden. Iterierend gelesen erlauben sie, auf das Gedachte von Außen zu schauen, aus immer anderen Standpunkten, etwa so, wie es Außenstehende tun. Was zu der Erkenntnis führt, dass Schrift das geeignete Medium ist, wenn es um die Überprüfung der eigenen Weltsichten geht, der Anschauungen über die eigene Person und der Art und Weise, wie man Andere wahrnimmt und welche Faktoren diese Wahrnehmung positiv oder negativ beeinflussen. Schrift erlaubt der Autorin, Distanz zu den eigenen Gedanken zu gewinnen.

Kruses Vortrag ist allerdings keine direkte Unterstützung der auch im Jahr 2017 weiterhin skeptisch beäugten Online-Beratung, sondern ein Versuch, das wissenschaftliche Denken als ein konzeptuelles Fundament zu verdeutlichen. „Konkretisieren lässt sich KD, wenn man es mit wissenschaftlichem Schreiben in Verbindung bringt, denn Schreiben ist die intensivste Form des Nachdenkens über ein Thema, und beim Schreiben wird KD auch von den Lehrenden am häufigsten eingefordert. Richtig angeleitet, können wir das Schreiben als Schulung des Denkens einsetzen und dabei gerade solche Aspekte in den Blick nehmen, die das Denken ‚kritisch‘ machen, nämlich Tiefenverständnis und reflektierter Skeptizismus im Umgang mit Fachwissen“ (https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/19650).

Einen solchen Umgang mit den zu Papier gebrachten Gedanken wünscht man sich bisweilen bei Publikationen zum Thema Online-Beratung. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Protagonisten oder Antagonisten handelt, auch wenn letztere durch die Art und Weise der Behandlung des Themas sich ungewollt als dem Thema gegenüber unwissend de-maskieren. Auf Seiten der Protagonisten wäre (selbst-)kritisches Nachdenken anstelle von unkritischen Nachgeplapper angebracht. Denn nicht alles, was zu Beginn der „Bewegung“ begrifflich und konzeptionell in die Welt gesetzt wurde, hält über 20 Jahre später kritischen Überlegungen stand.

Unterbleibt (selbst-)kritisches Denken, wird die Weiterentwicklung des Gegenstandes (wissentlich oder unwissentlich) behindert.