Ein Beitrag auf Agitano zum Thema psychologische Beratung beginnt mit den folgenden Sätzen: „Auch in unseren aufgeklärten Zeiten schrecken viele davor zurück, sich mit Psychologen in Verbindung zu setzen: In unseren Breiten ist die Angst zu groß, von anderen für psychisch krank gehalten und letztendlich stigmatisiert zu werden. Die wenigsten erkennen ihren Bedarf an psychologischer Beratung und nehmen diese Chance nicht wahr“ (Agitano).
Tatsächlich klafft eine Lücke zwischen dem (geschätzten) bundesweiten Hilfebedarf und der (tatsächlichen) Nachfrage nach professioneller Hilfe. Gründe für diesen Widerspruch sehen die AutorInnen des Artikels in zwei Faktoren, die den Fachkräften der Online-Beratung hinlänglich bekannt sein dürften: Dass es den Ratsuchenden an Zeit fehlt und dass sie auf dem Weg zur Beraterin / Therapeutin nicht gesehen werden wollen. Denn das Stigma, der Besuch bei einer Beraterin / Therapeutin bedeute, an einer psychischen Störung zu leiden, wirkt nach wie vor als eine entscheidende Hemmschwelle für die Auf- und Annahme einer professionellen Hilfe.

Die AutorInnen verorten die die Möglichkeiten der telemedialen Beratungsmöglichkeiten nicht nur als Trend, sondern auch als Vorteil, der das telemediale Setting zukunftsfähig erscheinen lässt. „Ein großer Vorteil liegt dabei auf der Hand, denn die Anfahrtswege fallen weg. Das wiederum spart Zeit, Geld – und die oft gefürchtete Sichtbarkeit der Öffentlichkeit. Auf diesem Wege können Termine zudem einfacher koordiniert werden, während man selbst räumlich nicht gebunden ist“ (Quelle: Agitano).

Erfreulicher Weise stellen die AutorInnen die entscheidenden Fragen, deren Beantwortung noch immer aussteht und die verdeutlichen, warum es fachverbandlicher Strukturen bedarf, die sich dieser (und weiterer) Fragen annimmt und u.a. adäquate Standards entwickelt:
„Wie bei jeder Trendentwicklung gibt es natürlich auch hier Herausforderungen. Insbesondere stellt sich die Frage, wie sicher und diskret ein psychologisches Coaching online ablaufen kann. Dabei sollten Interessenten im Grunde dieselben Punkte beachten, die sie bei der analogen Auswahl von Experten ebenso bedenken sollten. Stellen Sie bei der Recherche daher folgende Fragen: Handelt es sich um einen professionellen und seriösen Anbieter? Verfügen die Experten über die notwendige Qualifikation? Erscheinen die Berater Ihnen persönlich sympathisch? Werden notwendige Sicherheitsstandards gewährleistet?“ (Quelle: siehe vorstehend).

Selbst wenn die Anbieterin eines Beratungsangebots online nachweisen kann, für das telemediale Setting (ausreichende?) Qualifikationen erworben zu haben, kommt es als nächstes entscheidend darauf an, vermittels welcher technischer Vorkehrungen die Vertraulichkeit zwischen Ratsuchender und Beraterin / Therapeutin gewährleistet wird: „Die Standards zur Sicherheit, vertraulichen Verbindungen und Geheimhaltungspflicht sind essenzielle Punkte, bei denen seriöse Anbieter selbst größte Sorgfalt walten lassen. Sollten Sie auf ihren Webpräsenzen nach diesen Angaben also erfolglos suchen, ist tatsächlich Vorsicht geboten“ (Quelle: siehe vorstehend). Wir haben in er Vergangenheit auf den Webpräsenzen von Mitgliedern renommierter Fachverbände recherchiert und festgestellt, dass die Norm der § 203 StGB entweder nicht oder nur unzureichend bekannt ist bzw. mit abstrusen Disclaimers versucht wird, die vom Gesetzgeber einseitig verortete Verantwortung auf die Ratsuchenden zu übertragen – frei nach dem Motto: wenn sie dieses Angebot und das damit verbundene technische Verfahren (z.B. Video-Chat via Skype) nutzen, sind sie selbst schuld.

Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Ratsuchenden soweit technisch informiert sind, um entscheiden zu können, ob die installierte Video-Technik tatsächlich datensicher funktioniert, wo die Technik gehostet wird und in welcher vertraglichen Beziehung der Hoster zur AnbieterIn steht (vor allem § 11 BDSG betreffend, als dem so genannten „Dritten“ und dessen Privilegierung durch die AuftraggeberIn).
Für die Ratsuchenden bleibt es daher weiterhin schwer, außerhalb staatlich finanzierter und kontrollierter Angebote (z.B. Erziehungs- und Familienberatung online gemäß SGB VIII) entscheiden zu können, welche Angebote seriös und welche unseriös sind. Macht der Leidensdruck eine Fremdhilfe unumgänglich, wird man auf der Suche nach Hilfe zudem schneller bereit sein, vollmundigen Versprechen zu vertrauen, auf die man ohne Druck nicht „hereingefallen“ wäre.